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"Manchmal rede ich zuviel"

Seit 1999 war Christian Blasch bei jeder Feldendrunde der Herren im Einsatz. Bereits mit 23 Jahren pfiff er sein erstes Hallen-Halbfinale. In Athen leitete er mit 29 Jahren olympische Hockeyspiele. "Bei internationalen Spielen kann man sich mehr aufs Hockey konzentrieren", sagt er, und erklärt, woran das deutsche Schiedsrichterwesen noch arbeiten muss.

Es begann wie bei so vielen Schiedsrichtern, wenig spektakulär. Bei einem Jugendturnier musste mal wieder jemand pfeifen. Kein bedeutendes Spiel, nur ein einfaches Einladungsturnier. Die typische Reaktion ist bekannt und weit verbreitet. Plötzlich haben alle ganz viel zu tun, müssen gerade auf die Toilette, sich umziehen oder versuchen sich, dem Chamäleon gleich, unsichtbar zu machen. Nur der junge Christian Blasch hatte damals keine Ausrede parat, er hatte auch nach gar keiner gesucht. Er griff sich die Pfeife und leitete sein erstes Spiel, A-Knabe war er damals.

"Kurze Zeit später habe ich an einem Jugendlehrgang des Westdeutschen Hockeyverbandes für Schiedsrichter teilgenommen. Da hat alles reibungslos funktioniert, und ich war plötzlich Schiedsrichter", erzählt Blasch. Danach ging alles sehr schnell: Als Jugendlicher pfeift er Oberliga- und Regionalliga-Spiele, mit 21 Jahren leitet er seine erste Bundesligapartie. Mittlerweile sind es 234. Blasch pfiff bei den letzten sieben Feld-Endrunden der Herren.

Im Gegensatz zu vielen anderen Referees hat der Mülheimer nie aufgehört selbst Hockey zu spielen. "Nach der Jugend habe ich bei Uhlenhorst in den zweiten Herren gespielt, mittlerweile bin ich in der dritten Mannschaft gelandet." Noch immer geht er regelmäßig einmal in der Woche zum Training. Wenn er nicht pfeifen muss, dann spielt er auch am Wochenende. "Ich halte es für sehr wichtig als Schiedsrichter selbst zu spielen. Man behält das Spielverständnis, kann sein Stellungsspiel besser anpassen und hat mehr Fingerspitzengefühl", meint Blasch.

Weil der Mülheimer die Blickwinkel der Schiedsrichter und der Spieler kennt, versucht er ein Spiel möglichst lange mit Worten zu dirigieren, bevor er zu den Karten greift. "Ich kenne die Situation, dass ein Spieler eine Entscheidung ganz anders gesehen hat und sich beschwert. Da versuche ich zunächst zu beruhigen. Von offizieller Seite wird mir deswegen manchmal vorgeworfen, ich würde zu viel reden", erzählt Blasch.

Dabei orientiert er sich an zwei großen Vorbildern der Schiedsrichterwelt. Den Iren Ray O'Connor, der auch das Endspiel von Athen pfiff, und den Niederländer Peter von Reth bewundert Blasch für ihre ruhige Art Spiele zu leiten. "Ein Schiedsrichter sollte nicht versuchen sich in den Mittelpunkt zu drängen, darauf achte ich bei mir sehr", sagt er. Er versucht sich im Hintergrund zu halten, übertriebene Theatralik ist seine Sache nicht.

Einen Vorteil sieht Blasch neben seiner Spielpraxis auch in seiner Größe: "Es geht bei Schiedsrichtern oft darum, Pfiffe gut zu verkaufen. Da hat es schon eine andere Wirkung, wenn ich mit meinen knapp zwei Metern eine Entscheidung fälle." Wichtig ist für den langen Mülheimer, dass in einer Partie Gradlinigkeit herrscht. "Die Spieler müssen dem Schiedsrichter vertrauen, müssen sich darauf verlassen können, dass er in jeder Situation nach den selben Richtlinien entscheidet", erklärt er.

Eben bei der Gradlinigkeit erkennt Blasch in Deutschland aber noch Nachholbedarf. Zwar sieht er die Akzeptanz der Schiedsrichter in der Summe verbessert, aber noch liege viel Arbeit vor dem Schiedsrichterwesen. "In Deutschland gibt es regional häufig verschiedene Arten der Regelauslegung. So wird in Bayern zum Teil anders gepfiffen als in Hamburg. Für die Spieler ist es schwierig, sich darauf einzustellen", analysiert Blasch. "Insgesamt ist das Schiedsrichterwesen aber auf einem guten Weg", versichert er.

Angst ein Spiel zu verpfeifen hatte Blasch noch nie. "Diese Angst darf man als Schiedsrichter auch nicht haben, sonst geht die Sache ganz schnell in die Hose", macht er klar. Und er fügt hinzu: "Ich selber bin davon überzeugt, dass ich durch meine Erfahrung, meine Regelkenntnis und meine Persönlichkeit in der Lage bin, jedes Spiel zu leiten." Diese Erfahrung musste sich aber auch Blasch erst erarbeiten. Zwar ging sein erster Auftritt auf internationalem Parkett nicht "in die Hose", aber als er mit Anfang 20 erstmals bei einem Vier-Nationen-Turnier pfiff, war er auf die Art und Weise wie international gespielt wird, nicht vorbereitet. "Es ist immer schlecht, wenn ein Schiedsrichter überrascht wird", sagt er, "das erste Spiel war hart."

Mittlerweile verfügt Blasch über viel internationale Erfahrung. In Athen leitete er zum ersten Mal Spiele bei Olympia. "Das war in jedem Fall mein schönstes Erlebnis als Schiedsrichter. Schon die gesamte Vorbereitung und die Atmosphäre waren überwältigend. Ich habe noch nie ein Turnier erlebt, bei dem es um so viel ging", schwärmt er. Blasch leitete einige Gruppenspiele und ein Platzierungsspiel. "Das war völlig in Ordnung für mich, ich bin ja noch jung", meint er.

Schwierigkeiten mit fremden Sprachen oder Kulturen auf dem Platz hat Blasch nicht - im Gegenteil: "Bei internationalen Spielen wird viel weniger reklamiert als in der Bundesliga. Das Spiel ist viel zu schnell geworden, als dass es sich ein Spieler leisten könnte, stehen zu bleiben und über Entscheidungen zu diskutieren", beschreibt Blasch. Hinzu kommt die sprachliche Barriere. Nicht jeder Spieler spricht so gut Englisch, dass er sich über vermeintliche Fehlentscheidungen beschweren könnte. "Dadurch kann man sich viel mehr aufs Hockey konzentrieren", freut sich der 30-Jährige.

Dafür gibt es auf internationaler Ebene andere Herausforderungen: Durch das hohe Spieltempo brauchen die Schiedsrichter eine sehr gute körperliche Fitness, wenn sie bei bis zu 40 Grad 70 Minuten lang auf Ballhöhe sein müssen. Für Blasch stellt das kein Problem dar: "Ich bin ein leidenschaftlicher Läufer, jede Woche 40 bis 50 Kilometer. Damit lege ich die konditionelle Basis für anstrengende Spiele", erzählt er. Um neben der Fitness auch die nötige Ruhe im Spiel zu haben, entspannt sich Blasch vor dem Spiel bei Musik. Überhaupt hört er gerne Musik, und er ließt viel - am liebsten Polit-Thriller wie die von Tom Clancy. "Auf internationalen Turnieren muss man sich zwei Wochen lang viel allein beschäftigen. Bei Musik und einem guten Buch kann ich sehr gut abschalten", sagt er.

Bei den großen Turnieren freut sich Christian Blasch auch auf seine Freunde aus der Schiedsrichterwelt. In der höchsten internationalen Schiedsrichter-Kategorie, dem World Panel, dem Blasch seit 2003 angehört, sind nur rund 20 Referees registriert. "Unter uns entwickeln sich echte Freundschaften." Der Kontakt zwischen Schiedsrichter- und Spielerwelt beschränkt sich dagegen auf den Hockeyplatz. Sportler und Unparteiische wohnen nur selten im selben Hotel. "Diese Distanz ist zwar nicht unbedingt gewollt, aber auf dem Feld ist sie schon hilfreich."

Bei großen Turnieren steht direkt nach den Spielen die Videoanalyse an. "Dabei geht es nicht darum nach Fehlern zu suchen, sondern in der Gruppe zu überlegen, wie man bestimmte Situationen anders lösen kann", sagt Blasch. "Ob ich eine gute oder schlechte Entscheidung getroffen habe, merke ich selbst direkt nach dem Pfiff. Es geht in der Videobesprechung darum, eine konstruktive Fehleranalyse durchzuführen. Die Gespräche in der Gruppe helfen uns da sehr weiter", ergänzt er.

Trotzdem seien Schiedsrichter Perfektionisten, immer bestrebt die Fehler zu minimieren. Er selbst hat sich das Ziel gesetzt den Spielfluss zu fördern. Nur dann zu unterbrechen, wenn es unbedingt notwendig ist. "Ich versuche das Spiel im Rahmen des Regelwerks zu kontrollieren", beschreibt er seinen Stil zu pfeifen.

Im April steht der nächste große Einsatz für Christian Blasch an: Das WM-Qualifikationsturnier im chinesischen Changzhou. Erst danach wird die Ansetzung für die Weltmeisterschaft bekannt gegeben. "Auch für einen Schiedsrichter ist es etwas ganz Besonderes bei einem solchen Ereignis im eigenen Land zu pfeifen. Vor allem in einem so großartigen Stadion", gerät Blasch mit Blick auf die WM ins Schwärmen.

Weltmeisterschaftserfahrung hat er schon: 2003 pfiff er bei der Hallen-WM in Leipzig. Außerdem war Blasch unter anderem bei der Feld-EM in Barcelona 2003 und der Junioren-WM in Rotterdam 2005 im Einsatz. Geld gibt es auf internationalen Turnieren keines zu verdienen. "Uns wird nur die Anreise und die Unterkunft bezahlt", erzählt er. Da gibt es selbst in der Bundesliga noch mehr zu "verdienen" - pro Spiel 36 Euro plus Fahrtgeld.

Da man aber auch von 36 Euro nicht ansatzweise leben kann, hat Christian Blasch zum Glück noch einen "echten" Beruf. Wenn er nicht auf dem Platz steht und pfeift oder selbst spielt, dann arbeitet er bei einem Großhändler für Leder in Mülheim. Dort ist der Betriebswirt zuständig für Controlling sowie Ein- und Verkauf. "In dem Unternehmen habe ich auch meine Ausbildung absolviert. Neben der betrieblichen Ausbildung habe ich in Essen an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie studiert", erzählt er.

Um an all den über den Erdball verstreuten Turnieren teilnehmen zu können, muss Blasch regelmäßig seinen Urlaub opfern. "Zum Glück ist mein Chef sehr sportbegeistert, er unterstützt mich bei dieser Doppelbelastung." Um seinem Hobby Skifahren nachzugehen, bleibt ihm trotzdem nur wenig Zeit. Doch dieses Opfer bringt der zurzeit wohl beste deutsche Referee gerne für seine Leidenschaft, das Pfeifen. Überhaupt ist er kein Mensch, der mit den Gegebenheiten hadert: "Das Leben ist schon hart genug, da versuche ich aus allen Situationen das Positive und Lustige zu ziehen." (Autor: Max-Morten Borgmann, hockeyzeit)


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